Jahrbuch Sucht 2025 erschienen

Bevölkerung verliert – Industrie gewinnt – Politik ist untätig

Das heute veröffentlichte DHS Jahrbuch Sucht 2025 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) stellt aktuelle Entwicklungen und Trends zu Sucht und Drogen dar, bietet wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und ordnet neue Daten ein. „Deutschland braucht eine konstruktive, forschungsbasierte und zukunftsfä-hige Sucht- und Drogenpolitik, um den enormen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Sucht- und Drogenthemen müssen auf einer gesundheitspolitischen Dringlichkeitsskala ganz oben stehen“, fordert Professor Dr. Norbert Scherbaum, DHS Vorstandsvorsitzender.

Zentrale Inhalte im Überblick: Alkohol
Alkohol ist in keinem anderen europäischen Land so erschwinglich wie in Deutschland. Mit fatalen Folgen: Alkoholkonsum verursacht hierzulande nicht nur große gesundheitliche Schäden, son-dern auch ökonomische Folgekosten von über 57 Milliarden Euro jährlich. Der hohe Durch-schnittskonsum führt zu in einer sehr hohen Zahl von alkoholbedingten Sterbe- und Erkrankungs-fällen. Im internationalen Vergleich besteht bei Alkohol – wie auch bei Tabak, Nikotinprodukten, digitalen Suchtformen und Glücksspiel – viel Nachholbedarf in puncto Regulierungen. „Bei Ver-brauchsteuern auf alkoholische Getränke ist jahrzehntelang kaum etwas passiert. Die Biersteuer wurde zuletzt im Jahr 1993 erhöht und auf Wein wird keine Verbrauchsteuer erhoben. Wir wissen aus der Forschung: Die Preise für alkoholische Getränke zu erhöhen, ist ein effektives Mittel, um den Alkoholkonsum zu senken – und damit der Gesundheit von Millionen Menschen den Vorrang gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der Alkoholindustrie einzuräumen“, sagt Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen.

Unzureichende Preispolitik
Das verlorene Potenzial der unzureichenden Preispolitik in Deutschland macht ein Vergleich mit anderen EU-Ländern deutlich. „Im Jahr 2022 nahmen Estland, Litauen und Lettland zwischen 167 € und 218 € pro Kopf an Verbrauchsteuern aus dem Verkauf von alkoholischen Getränken ein, während in Deutschland – bei ähnlichem Pro-Kopf-Alkoholkonsum – nur 44 € pro Kopf ein-genommen wurden“, erläutert der Suchtforscher Dr. Jakob Manthey im DHS Jahrbuch Sucht 2025. „Würde man die Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke auf ein Niveau erhöhen, dass die Verkaufspreise um etwa 5 % anstiegen – das entspricht z. B. dem Preisanstieg einer Flasche Bier von 1,00 Euro auf 1,05 Euro – so ließen sich zusätzliche 1,4 Milliarden Euro Steuereinnah-men generieren (+44 %), der Pro-Kopf-Alkoholkonsum um 2,2 % senken und der Tod von etwa 850 Personen in einem Jahr hinauszögern. Die aktuelle Preispolitik führt jedoch zu ungünstigen Entwicklungen für die Gesundheit und die Staatsfinanzen. Die Verbrauchsteuereinnahmen aus dem Verkauf von Alkohol stagnieren (2010: 3,15 Milliarden Euro; 2022: 3,17 Milliarden Euro), während die Kosten alkoholbedingter Folgeerkrankungen, z. B. Behandlungskosten, zunehmen.“

Zentrale Inhalte im Überblick: Tabak und Nikotin
Der Griff zum Glimmstängel ist in Deutschland – trotz der bekannten gesundheitlichen Gefahren – immer noch sehr verbreitet: 30,4 % der Bevölkerung rauchten im Jahr 2024. Das belegen ak-tuelle Ergebnisse der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA-Studie). Bei Jugend-lichen unter 18 Jahren ist dieser Anteil deutlich geringer. Er liegt nach den aktuellen Daten der Drogenaffinitätsstudie 2023 für die 12- bis 17-Jährigen bei 6,8 %, ist aber in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) mit 26,3 % schon deutlich höher. Der Anteil von Jugend-lichen und Erwachsenen, die Tabakprodukte rauchen, hat seit Anfang der 2000er Jahre abgenommen.

E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Wasserpfeifengebrauch steigt
Beim Konsum von verwandten Nikotinprodukten wie E-Zigaretten, Tabakerhitzern oder Wasser-pfeifen gibt es seit 2018 einen Anstieg, insbesondere bei jungen Erwachsenen. Im Jahr 2024 nutzten laut DEBRA-Studie 2,0 % der Personen ab einem Alter von 14 Jahren aktuell eine E-Zigarette und 1,2 % einen Tabakerhitzer.

Mehr Fertigzigaretten abgesetzt
Der Absatz von in Deutschland versteuerten Fertigzigaretten ist 2024 erstmals seit 2019 gegen-über dem Vorjahr gestiegen und der Pro-Kopf-Verbrauch liegt damit aktuell bei 784 Zigaretten pro Jahr.

Tod durch Rauchen
Das Rauchen ist in den Industrienationen das bedeutendste einzelne Gesundheitsrisiko und die führende Ursache vorzeitiger Sterblichkeit.

Zentrale Inhalte im Überblick: Illegale Drogen
Laut aktuellen Schätzungen haben in Deutschland 1,2 % aller Jugendlichen und 3,6 % der Er-wachsenen in den letzten 12 Monaten vor der Befragung mindestens eine illegale Droge (außer Cannabis) konsumiert. Dabei war bei den Jugendlichen der Konsum von Amphetaminen, Ecs-tasy, Kokain/Crack, Pilzen oder neuen psychoaktiven Stoffen etwas weiter verbreitet als der Kon-sum anderer illegaler Drogen. Bei Erwachsenen spielen neben Kokain/Crack und Amphetaminen neue psychoaktive Stoffe eine Rolle. 

Konsumgrund: „Spaß haben“
Der mit Abstand meistgenannte Grund für den Konsum von aufputschenden Substanzen bei Erwachsenen war „high“ werden bzw. „Spaß haben“.

Wachsender Mischdrogengebrauch
Zu beobachten sind ein wachsender Mischdrogengebrauch sowie lokale und regional begrenzte Drogenszenen, auf die sich die Drogenhilfe einstellen muss. Vielerorts wird in Städten und Kom-munen derzeit beobachtet, dass Crack (freie Base des Kokains) und stark wirksame synthetische Opioide wie Fentanyl in den örtlichen Drogenszenen auftauchen. Mit dem Konsum der Substanzen gehen für Konsumierende erhebliche Gesundheitsgefahren einher und der Konsum ist oft begleitet von einer rapiden und dramatischen Verschlechterung der sozialen Situation Betroffener.

DHS fordert zukunftsweisende Sucht- und Drogenpolitik
„Suchterkrankungen vorzubeugen und sie zu behandeln, bietet ein massives Einsparpotenzial. Denn: Hohe Folgekosten werden vermieden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die enormen Zukunftsherausforderungen anzugehen. Die Politik muss handeln, bei illegalen Drogen – aber gerade auch bei Alkohol, Nikotin und Glücksspielen. Und zwar jetzt“, so DHS Geschäftsführer Dr. Peter Raiser.